Polizei knöpft sich Handy-Knacker vor (22 Oktober 2010/22:19) Dürfen Privatleute ihre Mobiltelefone von Software-Sperren befreien? Fahnder in Göttingen ermitteln gegen 600 Kunden, die dafür die Hilfe eines professionellen Handy-Knackers angenommen haben. Das Verfahren könnte zum Präzedenzfall werden. Handys: SIM-Lock-Knacker im Visier der Ermittler Polizeikommissar Marcel Schoppe führte den Ermittlern und Staatsanwälten beim Expertentreffen zum Handy-Entsperren in Göttingen etwas für die Beamten Erstaunliches vor: In zwei Sekunden war das SIM-Lock entfernt, in zwei Minuten wurde aus einem T-Mobile-Handy ein E-Plus-Handy. Schnell, unkompliziert, erfolgreich: Die Live-Demonstration der Manipulationsmöglichkeiten an Handys bei der Tagung Mitte Oktober verfehlte ihre Wirkung nicht. Wirklich neu sind die Methoden zum Entsperren von Mobiltelefonen dabei nicht. Neu ist vielmehr, dass die Polizei gegen private Handybesitzer ermittelt, die ihre Geräte von der Beschränkung auf ein bestimmtes Funknetz oder bestimmte SIM-Karten befreien. Allein in Göttingen arbeiten seit Juni acht Beamte in der sogenannten "Ermittlungsgruppe SIM". Sie ermittelt auch gegen 600 Endkunden. Die Betroffenen haben wahrscheinlich ihre Geräte von vier Beschuldigten entsperren lassen, deren Handy-Läden und Wohnungen im Juni in Göttingen durchsucht wurden. Ihnen wirft die Polizei vor, "gewerblich illegal die SIM-Lock-Entfernung an Handys angeboten und durchgeführt zu haben". Staatsanwaltschaft hat bislang nicht Anklage erhoben Die Ermittler sind der Ansicht, dass sich auch die Handy-Besitzer strafbar machen. Die 600 Ermittlungsverfahren laufen wegen Verstößen gegen das Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs und gegen das Urheberrechtsgesetz. Anklage hat die Staatsanwaltschaft bislang in keinem Fall erhoben. Sie wird das wohl auch nur tun, wenn eine Aussicht auf eine Verurteilung besteht. Die Göttinger Verfahren könnten dann zum Präzedenzfall werden. Denn bislang ist die Frage, ob sich ein privater Handy-Entsperrer in Deutschland strafbar macht, nicht abschließend von den Gerichten geklärt. Die Rechtsauffassung der Fahnder beschreibt Ermittlungsgruppenleiter Oliver Knabe so: "Der Käufer eines Handys erwirbt Eigentum an der Sache Handy. An der auf dem Handy befindlichen Software hat der Käufer nur ein Nutzungsrecht. Je nach genutzter Methode, um die Software zu verändern, differiert der einschlägige Straftatbestand. Insbesondere die Tatbestände gegen das geistige Eigentum sind von Bedeutung." Knabe zählt als eventuelle Straftatbestände Geheimnishehlerei (§ 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG), gewerbliche Urheberrechtsverletzung (§§ 106 Abs. 1, 108 Abs. 1 UrhG) und einige mögliche Tatbestände nach dem Strafgesetzbuch auf ( Ausspähen von Daten, Täuschung im Rechtsverkehr bei Datenverarbeitung, Datenveränderung, Computerbetrug). Der Ermittlungsgruppenleiter spricht von "einem Blumenstrauß von potentiell im Einzelfall erfüllten Straftatbeständen, welche zur Zeit geprüft werden" - eine vorsichtige Formulierung. Denn wie ein Gericht die Sache bewertet, sollte es überhaupt zur Anklage kommen, ist offen. Einige Juristen sehen das Göttinger Verfahren skeptisch. Thomas Hoeren, Richter und Professor für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht in Münster, erklärt: "Man stochert im Nebel, unausgegoren und verworren." Wichtig sei der Hinweis: eventuelle Straftatbestände. "Die wissen selbst noch nicht, was sie da prüfen", erklärt der Experte. Gewerbliche Entsperrer machen sich strafbar Hoeren jedenfalls sieht keine rechtliche Grundlage dafür, Privatkunden strafrechtlich wegen des Entsperrens ihrer Mobiltelefone zu verfolgen: "Die Rechtslage für Privatpersonen ist klar: Wer sein Mobiltelefon entsperrt, kann dafür nicht bestraft werden." Anders ist das bei Anbietern, die entsperrte Geräte verkaufen. Der Bundesgerichtshof hat 2004 entschieden ( Az.: I ZR 13/02), dass ein Händler entsperrte Handys nicht gegen den Willen des Herstellers anbieten darf. Das verletzt nach Ansicht des Bundesgerichtshof die Markenrechte: Es werde eine Ware unter der Marke vertrieben, die durch das Entsperren so wesentlich verändert sei, dass sie nicht dem ursprünglich angebotenen Produkt entspreche. Was dieses Urteil für Privatkunden bedeutet, erklärt Hoeren so: "Das betrifft nur den kommerziellen Vertrieb derart veränderter Geräte. Das sagt nichts darüber aus, ob ich als Privatperson mein Mobiltelefon entsperren darf." Die Frage bleibt, wann man zum Beispiel bei Ebay-Verkäufen als "gewerbsmäßig" eingeschätzt wird. Wer ein entsperrtes Mobiltelefon verkauft, könnte theoretisch bei einer Klage vor Gericht als kommerzieller Anbieter gelten. Die rund 600 Entsperrer, gegen die nun in Göttingen ermittelt wird, haben ihre Geräte aber gar nicht weiterverkauft - sie wollten nur eine andere SIM-Karte nutzen oder vielleicht im Ausland mit der Karte eines ausländischen Anbieters das mobile Internet nutzen, statt dafür wegen höher Roaming-Kosten fünfstellige Summen zu zahlen. Rechtskräftiges Urteil gegen Privatentsperrer in Augsburg Eine Entscheidung aus Augsburg könnte die Göttinger Staatsanwaltschaft trotz der diffusen Lage dazu ermuntern, dennoch Anklage zu erheben: Im Mai erwirkte die Staatsanwaltschaft Augsburg einen Strafbefehl gegen eine Privatperson, die ihr Handy hatte entsperren lassen. Rechtskräftiges Urteil: 600 Euro Geldstrafe wegen Geheimnishehlerei (§ 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG). Einen Strafbefehl kann die Staatsanwaltschaft beantragen, wenn der Fall nicht ganz so schwer ist. Das Ganze läuft dann schriftlich ab: Der Richter kann ohne mündliche Hauptverhandlung zu einem rechtskräftigen Urteil kommen. In Augsburg hat der Verurteilte den Strafbefehl akzeptiert. Vermutlich wollte er nicht höhere Kosten riskieren. Aus diesem Einzelfall kann man allerdings keine generelle Aussage darüber ableiten, dass es in Deutschland strafbar ist, sein Handy zu entsperren. Nicht jeder Richter muss dem Urteil des Augsburger Amtsgerichts folgen.
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