Systembruch Vorratsdatenspeicherung
05. Juni 2007, 19:43 | 0 KommentareDie Gesetzesnovelle zur Speicherpflicht von Verkehrsdaten aus Telefonienetzen und dem Internet ist weder verhältnismäßig noch effizient, sagte Hannes Tretter, Professor am Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte, am Dienstag in Wien.
Die bevorstehende Anpassung des österreichischen Telekom-Gesetzes an die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherpflicht [Data-Retention] sei nicht irgendeine Gesetzesnovelle, sagte Tretter vor Journalisten in Wien.
"Die flächendeckende, verdachtsunabhängige Speicherung von Verkehrsdaten stellt einen Paradigmenwechsel dar, der große Bedenken und Fragezeichen aufwirft", ob diese Vorgangsweise nämlich noch grundrechtskonform sei oder nicht.
Effizienz und Umgehung
Vor allem aber sei angesichts der Datenerfassung die Frage nach Effizienz und Verhältnismäßigkeit der Vorratsdatenspeicherpflicht zu stellen, und die sei seiner Meinung nach nicht gegeben.
Zum einen seien da unzählige Möglichkeiten für Kriminelle, die Datenspeicherpflicht zu umgehen, sodass die staatliche verordnete Datensammlung durch die Telekoms letztlich nur normale Bürger betreffe.
Die Frage der Sicherheit so großer Datenmengen sei ebenfalls nicht geklärt, so Tretter weiter, zumal die Datenschutzkommission mangels personeller Ressourcen nicht einmal Stichproben durchführen könne. "Dabei bräuchten wir die besten Hacker der Welt, um die Daten abzusichern", sagte Tretter.
Betroffene Bigamisten
Den letzten Stand des Gesetzesentwurfs, der die Herausgabe der Verkehrsdaten - wer mit wem wann wo telefoniert hat - bei allen Delikten vorsieht, die mit mindestens einem Jahr Haft geahndet werden, findet Tretter ebenso übertrieben.
Unter die Delikte, die mit diesem Strafmaß geahndet würden, falle unter anderem das Versetzen von Grenzzeichen, Bigamie und eine ganze Menge anderer Verstöße, die eher Otto Normalverbraucher beträfen, als wirkliche Verbrecher.
Systembruch, eklatanter Wechsel
Bei Bigamisten könnte Vorratsdatenspeicherung allerdings sehr aufschlussreich sein, da diese ja gezwungenermaßen viel fernmündlich kommunizieren müssten, warf Hans Zeger [ARGE Daten] ein, der neben Tretter auf dem Podium saß. Geladen hatte der liberale Abgeordnete Alexander Zach, der mit einem SPÖ-Ticket im Parlament vertreten ist.
Nach seinem nicht völlig ernst gemeinten Einwurf stieß Zeger ins selbe Horn. Die Vorratsdatenspeicherung stelle einen "Systembruch" dar, einen "eklatanten Wechsel" von anlassbezogenen zu anlass- und verdachtsunabhängigen Ermittlungen, denn ausschlaggebend sei nicht mehr der konkrete Verdacht auf eine Straftat, sondern eine Art von Pauschalverdächtigung.
Vertrag, Verletzung, Verfahren
Interessanterweise treffe man kaum Politiker, die offen für diese Verkehrsdatenspeicherung einträten, bemerkte Zeger. Es sei für die Politik nicht einmal mehr notwendig, eine Diskussion darüber zu führen - da die EU ja die Datenspeicherpflicht vorgegeben habe, müsse man sie einfach umsetzen, und Punkt.
Dem sei aber nicht so, das habe gerade Österreich in der Vergangenheit gezeigt, dass man nämlich durchaus ein Vertragsverletzungsverfahren riskieren könne. Gegen Österreich laufen und liefen einige solcher EU-Verfahren, wie etwa jenes, das die ARGE Daten gegen die Republik angestrengt hatte wegen fehlender Unabhängigkeit der österreichischen Datenschutzkommission, so Zeger.
Die EU-Parallelaktion
Parallel zur Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherpflicht steht eine weitere EU-Richtlinie vor ihrer Verabschiedung, die mit "Data-Retention" direkt ineinander greift.
Dass es dabei nicht allein um die propagierte strafrechtliche Verfolgung von organisierten Banden, Produktfälschern und anderen kommerziell orientierten Berufsverbrechern geht, hat die deutsche Ratspräsidentschaft erst am Montag wieder demonstriert.
Die IPRED2-Richtlinie
Der vom EU-Parlament verabschiedete dezidierte Ausschluss der strafrechtlichen Verfolgung von gewöhnlichen Tauschbörsennutzern [IPRED2], die zu privaten Zwecken Dateien heruntergeladen haben, wurde von der deutschen Ratspräsidentschaft wieder rückgängig gemacht.
Damit sind private Tauschbörsennutzer, die schon jetzt zivilrechtlich verfolgt werden, wieder durch Strafrecht bedroht. Die weitaus meisten Anfragen nach Verkehrsdaten im Internet an die Provider kommen schon jetzt von den Lobbys der Musik- und Fimindustrie.
Nachgefragt werden die temporären IP-Adressen, die bei der Internet-Einwahl an die Kunden vergeben werden, um Downloader auszuforschen.
Downloader werden Verbrecher
Da nicht auf Gewinn ausgerichtete Verstöße gegen das Urheberrecht in Österreich nur mit einem Strafrahmen von maximal einem halben Jahr bedroht sind, fielen sie sie derzeit nicht unter "Data-Retention".
Falls die IPRED2-Richtlinie in ihrer von der deutschen Ratspräsidentschaft gewünschten Form durchgeht, ist es sehr wahrscheinlich, dass auch EU-weit der Strafrahmen für einfache Urheberrechtsverletzungen von Privatleuten erhöht wird.
Auf dem Umweg über die Anti-Terror-Gesetzgebung - das war der offizielle Grund, die Vorratsdatenspeicherpflicht einzuführen - hätten die Interessenvertretungen der Kulturindustrien ihr erklärtes Ziel erreicht. "Raubkopierer" wären dann tatsächlich "Verbrecher".
Die Umsetzung der umstrittenen EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung in technische Standards besorgen federführend Geheimdienste.
Das britische MI5, der deutsche Verfassungsschutz, die niederländische PIDS und andere "Staatssicherheitsagenturen" stehen hinter den aktuellen ETSI-Standards zu "Data-Retention".
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