N900: Linux-Smartphone mit Maemo 5
18. Dez. 2009, 11:10 | 0 KommentareNokia hat mit dem N900 ein leistungsstarkes Touchscreen-Smartphone mit dem Linux-basierten Betriebssystem Maemo 5 auf den Markt gebracht. Im Test konnte das mobile Gerät durch seine Multitasking- und VoIP-Fähigkeiten überzeugen, doch seine schwache Akkuleistung mindert die Alltagstauglichkeit empfindlich.
Der finnische Handyhersteller Nokia versucht mit dem N900, das seit Ende November in Österreich erhältlich ist, neben dem N97 eine weitere Alternative zu Apples iPhone auf dem Markt zu positionieren. Statt des bisherigen Smartphone-Betriebssystems von Nokia, Symbian S60, setzt der Hersteller dabei mit Maemo 5 auf ein Betriebssystem, das auf der Linux-Distribution Debian basiert. Das wiederum macht das Gerät auch für Spezialisten interessant - unter anderem bietet es ab Werk einfachen und schnellen Zugriff auf die Shell.
Das N900 ist etwa gleich breit und hoch wie Apples iPhone, aber dank der integrierten QWERTZ-Tastatur fast doppelt so dick und mit 181 Gramm auch wesentlich schwerer - sogar schwerer als das Android-Smartphone G1, das ebenfalls eine mechanische Tastatur integriert hat.
Beim Telefonieren liegt das N900 daher etwas klobig in der Hand, außerdem kommt man beim Telefonieren allzu schnell auf den Einschaltknopf des Geräts. Die Wipptaste, die die Lautstärke beim Telefonieren regelt, liegt für Rechtshänder in Daumenposition. Beim Browsen dient sie dazu, die Inhalte von Websites heran- oder wegzuzoomen.
Das N900 und das iPhone im Vergleich: Beide verfügen über ein 3,5 Zoll großes Display. Die Tastatur macht das N900 deutlich dicker.
Dass das N900 eher ein mobiler Computer ist als ein Telefon, zeigt sich schon am Umgang mit dem Bildschirm. Anders als beim iPhone funktionieren sowohl Benutzeroberfläche als auch die Programme wie der Web-Browser nur im Querformat. Obwohl das Gerät automatisch erkennen könnte, wenn der Nutzer es dreht, da es über einen entsprechenden Lagesensor verfügt, wird diese Möglichkeit vom Betriebssystem derzeit nicht unterstützt. Diese Option könnte durch ein Firmware-Update aber bald nachgereicht werden.
Lediglich nach Anwählen des Menüpunkts "Telefon" wechselt die Darstellung auf dem druckempfindlichen Touchscreen ins Hochformat, und es erscheinen eine virtuelle Zahlentastatur sowie ein kleines Auswahlfenster, in dem der Nutzer gefragt wird, ob er via Mobilfunk (GSM/UMTS/EDGE) oder über VoIP telefonieren will. Beides funktionierte im Ress.at-Test einwandfrei, die Qualität der Sprachübertragung blieb jedoch im direkten Vergleich mit dem G1 und herkömmlichen Mobiltelefonen ein wenig zurück.
X-Terminal auf dem N900
Komplexe Ordnung im System
Die Bedienung des N900 geht prinzipiell leicht von der Hand. Das System reagiert im Vergleich mit Symbian-Geräten wesentlich flotter. Eine gewisse Einarbeitungszeit sollte der Käufer allerdings einplanen, da es in der Navigation durch das System insgesamt drei Ebenen gibt. Hinter der Startseite, einem Panorama-Desktop mit vier frei einstellbaren Homescreens, liegt auf der zweiten Ebene das Dashboard, das, vergleichbar mit dem Task-Manager in Windows, alle derzeit laufenden Programme auflistet.
Erst über das Dashboard lässt sich die Übersicht der Menüpunkte erreichen, auf denen sich die Einstellungen zu Systemparametern wie Mailkonten und Telefonieoptionen sowie die installierten Programme aufrufen lassen. Auf dieser Ebene, die sich noch am ehesten mit dem Programmstartmenü in Windows vergleichen lässt, kann der versierte N900-Besitzer auch die Shell des Maemo-Systems aufrufen. Wird die Shell häufiger benötigt, so kann der User sie einfach aktiviert lassen und dann als Task über das Dashboard aufrufen - wie alle anderen Programme auch.
Die Übersicht der Menüpunkte und Programm-Icons ist sehr sauber gestaltet, und es bleibt genug Platz zwischen den Icons, so dass man durch eine falsche Bewegung nicht irrtümlich die falsche Anwendung auswählt. Im Vergleich mit dem iPhone und Android ist die Benutzerführung im System auf den ersten Blick umständlicher.
Menü-Icons im Symbian-Stil
Damit sich Nutzer bisheriger Nokia-Telefone möglichst schnell zurechtfinden, haben die Designer in den Menüpunkten dieselben Icons verwendet, die bereits von Symbian-Smartphones bekannt sind. Die Menüpunkte belegen insgesamt zwei Bildschirmseiten, die sich allerdings nicht individuell anpassen lassen.
Außer über das Dashboard lässt sich auch über die insgesamt vier Desktops auf Einstellungen und Programme zugreifen. Hier lassen sich, wie auf einem großen PC, Shortcuts, Websites, Widgets und die wichtigsten Kontakte für den schnellen Zugriff ablegen. Die Anwendungen und Kontakte sind dadurch direkt nach dem Einschalten des Geräts mit einem einzigen Klick erreichbar. Der Nutzer muss also nur selten in die Tiefen des Systems abtauchen. Zwischen den vier Desktops kann der Nutzer mit einer einfachen Geste umschalten.
Das N900-Dashboard und die QUERTZ-Tastatur, sowie die 3,5 Millimeter-Klinkenbuchse für Standard-Kopfhörer sowie die Sperrtaste
Starker Prozessor
Das Dashboard stellt im Vergleich zu anderen Handybetriebssystemen eine zusätzliche Ebene dar, die das Bedienen des N900 auf den ersten Blick komplizierter macht als nötig. Andererseits zeigt sie nach kurzer Eingewöhnung eine der wesentlichen Stärken des Systems: Das gut funktionierende Multitasking.
Auf dem N900 können problemlos mehrere Anwendungen gleichzeitig laufen. Dank des leistungsstarken Cortex-A8-Prozessors von ARM zeigen sich beim Ress.at-Test beim gleichzeitigen Surfen im Maemo-Browser mit insgesamt acht offenen Fenstern inklusive einer Flash-Anwendung, dem Abspielen einer MP3-Datei, dem Chatten per Skype sowie dem Download eines Programmes keinerlei Probleme oder lästige Verzögerungen. Nur beim Aussuchen und Speichern eines neuen Klingeltons ließ sich das N900 im Test etwas zu viel Zeit.
Instant Messaging statt MMS
Der VoIP-Dienst Skype ist am N900 bereits vorinstalliert und erscheint als Option sowohl im Telefonmenü als auch im Menüpunkt "Gespräche". Statt zwischen SMS und MMS hat der User die Auswahl zwischen SMS und IM (Instant Messaging). Während MMS weder empfangen noch gesendet werden können, lassen sich nach dem Registrieren eines Skype-Kontos und bei einer bestehenden Internet-Verbindung Chat-Nachrichten verschicken und empfangen.
Da die virtuelle Tastatur per se außer im Telefonmodus nicht aktiviert ist, muss man dazu die mechanische QUERTZ-Tastatur verwenden. Die dreizeilige Tastatur, die über eigene Tasten für die Umlaute Ä, Ö und Ü verfügt, ist aufgrund der leichten Aufwölbung der Tasten und des präzisen Druckpunkts derselben gut mit beiden Daumen zu bedienen. Während das N900 im Hochformat etwas klobig in der Hand liegt, liegt es beim Schreiben im Querformat angenehm zwischen den Fingern.
Auch beim Browsen im Web erwies sich die mechanische Tastatur als äußerst praktisch. Der integrierte Maemo-Web-Browser basiert auf Mozilla-Technik und gibt Websites so wieder, wie Anwender es von herkömmlichen PCs gewohnt sind. Das bedeutet, dass Nutzer nicht auf mobile Portale umgeleitet werden, sondern automatisch die Original-Website abgerufen wird - auch bei Facebook und Twitter. Mit dem Browser kann man sich hier wie gewohnt einloggen, ebenso wie bei den Mail-Anbietern Google Mail und GMX.
Maemo-Browser mit Stopp-Button
Der Zoomfaktor im Browser kann der Nutzer via Lautstärkentaste oder mittels spezieller Gesten auf dem Touchscreen stufenweise anpassen. Der Touchscreen-Bildschirm reagiert dabei nicht so sensibel wie das kapazitive Display des Apple-Konkurrenten. Das "Zurückblättern" beim Navigieren im Web ist im Maemo-Browser jedoch schlecht umgesetzt, denn es gibt keinen "Zurück"-Button. Stattdessen muss der User ins rechte untere Eck des Bildschirms klicken, um zu einem Pfeilsymbol zu gelangen, mit dem sich der Browsing-Verlauf abrufen lässt.
Flash-Inhalte werden mit dem Adobe Flash-Player 9.4 anstandslos wiedergegeben, zudem unterstützt der Browser Javascript 1.8. Der Maemo-Browser am N900 könnte jedoch in Kürze vom ersten Release Candidate von Mozillas Firefox-Mobile-Browser abgelöst werden. Dieser wurde von Mozilla bereits für das N900 angekündigt.
Die Menüpunkte am N900 sind gut strukturiert und übersichtlich.
RSS-Reader und Backup-Möglichkeit
Besonders nützlich erwies sich zudem der integrierte RSS-Reader, über den sich News-Feeds abonnieren lassen. In diesem Menü gibt es am Touchscreen ein "Aktualisieren"-Symbol sowie einen Papierkorb, mit dem sich abonnierte Newsfeeds rasch wieder löschen lassen. Mit den N900 ist es zudem möglich, Backups anzulegen und diese mit einem Passwort auf dem heimischen Rechner zu sichern. Die Backups lassen sich auch auf einer SDHC-Karte speichern.
Das könnte vor allem sinnvoll sein, wenn man den X-Terminal-Modus des Linux-Smartphones ausprobieren möchte. Auf der Website maemo.org lässt sich etwa eine Anwendung namens Rootsh runterladen, die über den Befehl "sudo gainroot" den Root-Access am N900 ermöglicht. Linux-Enthusiasten können sich damit bei Bedarf das Betriebssystem anpassen. Auf maemo.org gibt es zudem aber auch andere sinnvolle und kostenlose Anwendungen für den Alltagsgebrauch.
So sind hier etwa ein Ad-Blocker für den Maemo-Browser finden, oder auch ein Openssh-Client. Die Auswahl ist derzeit noch geringer als etwa in Apples App Store, dafür sind die verfügbaren Anwendungen derzeit ganz in Open-Source-Manier kostenlos. Nokias Ovi Store war zum Zeitpunkt des Tests zudem noch nicht für Maemo 5 verfügbar.
Audio- und Videowiedergabe problemlos
Der Media Player des N900 kann gängige Videodateien (mp4, .avi, .wmv, .3gp) und Codecs wiedergeben, bei den Audiodateien werden die Formate .mp3 (mit Bitraten bis zu 320 kbps), .wmv, .aac, .m4a und .wav unterstützt. Die Klingeltöne können ebenfalls in den Formaten .wav, .mp3, .aac, und eaac abgespeichert werden. Im Media-Player-Menü befindet sich bei Auslieferung zudem eine Liste mit insgesamt 48 Internet-Radiosendern, darunter allerdings keiner aus Österreich - aber das lässt sich vom Nutzer schnell ändern.
Die Wiedergabe eines MPEG-4-Videos verlief im Test ruckelfrei. Dank des hellen 3,5-Zoll-WVGA-Touchscreen-Displays mit einer Auflösung von 800 x 480 Pixel sehen Videoclips auf dem N900 auch äußerst gut aus. Beim Videokonsum erwiesen sich zudem der ausklappbare Plastikfuß auf der Rückseite des Geräts sowie die integrierten Stereo-Lautsprecher als praktisch. Auch die Wiedergabe von Audiodateien funktionierte problemlos, allerdings fehlt dem System ein Equalizer, mit dem sich das bevorzugte Tonprofil individuell anpassen lässt.
Das Nokia N900 verfügt über einen 32 GB großen internen Speicher, von dem ab Werk etwa 27 GB zur Verfügung stehen, sowie einen Hot-Swap-Steckplatz für bis zu 16 GB große microSD-Speicherkarten.
Die aktivierte Kamera beim N900
Auf der Rückseite des N900 ist eine Fünf-Megapixel-Kamera mit einer Optik der Marke Carl Zeiss verbaut. Die Kamera hat Autofokus und zwei LED-Blitzlichter. Das Objektiv wird von einer Abdeckung geschützt. Wenn der Nutzer die Abdeckung beiseiteschiebt, aktiviert er gleichzeitig die Kamera. Ihre Reaktionszeit ist für Handycam-Verhältnisse ausreichend schnell, der Autofokus braucht weniger als zwei Sekunden, bis das Motiv scharf gestellt ist. Mit der Kamera lassen sich auch Videos im Breitbildformat mit 800 x 480 Pixeln aufzeichnen.
Akkuleistung enttäuschend
Das größte Manko des N900 ist die geringe Leistung des mitgelieferten Nokia-Akkus BL-5J. Dieser hält nach 30 Stunden im Standby-Betrieb nur noch knappe 1,5 Stunden im Multitasking-Betrieb mit WLAN-Verbindung durch. Das Gerät muss daher im normalen Betrieb mindestens einmal täglich aufgeladen werden. Für Nutzer, die zusätzlich viel telefonieren, empfiehlt sich zudem ein Ersatzakku für unterwegs.
Das N900 ist in Österreich seit Ende November zum unverbindlichen Richtpreis von 619 Euro erhältlich und wird vom Mobilfunkbetreiber A1 ab 299 Euro mit verschiedenen Tarifmodellen gelistet.
Alles in allem ist das N900 durch das Linux-Betriebssystem Maemo 5 vor allem für Open-Source-Anhänger empfehlenswert, die bei anderen Smartphones echte Mulitasking-Fähigkeiten und den einfachen Zugriff auf die Shell vermissen. Der finnische Handyhersteller kündigte für den Herbst 2010 bereits eine neue Version des Linux-Betriebssystems an. Bis dahin sind hoffentlich kleinere Mankos, wie die derzeit vorgegebene Bedienung im Querformat, behoben.
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