Spielekultur statt Spielezensur
26. Juli 2009, 12:10 | 0 Kommentare"Game Over für Verbote, Game Over für Zensur!" - Wer heute, am 25. Juli, durch
Berlin Mitte spaziert ist, hat einen Demozug der ungewöhnlichen Art zu sehen und
hören bekommen. Just jene, denen man gerne nachsagt, politisch desinteressierte
Nerds zu sein, haben den Spiele-PC abgeschalten und sind trotz des wechselhaften
Wetters für ihr Hobby auf die Straße gegangen. Die Route des Gamer-Demozugs
verläuft vom Brandenburger Tor bis zum Roten Rathaus, dem Sitz des Berliner
Senats. Parallel dazu finden auch Demos in Karlsruhe und Köln statt.
eSport ist kein Mord!
Etwas verhalten sind sie anfangs noch, die Spielerinnen und Spieler. In einem
Demozug marschieren und lauthals markige Sprüche skandieren ist für die heutigen
Teilnehmerinnen und Teilnehmer ungewohnt. Bisher waren es offizielle Sprecher
von Verbänden und Ligen sowie Wissenschafter und Psychologen, die gegen den
schlechten Ruf von Computer- und Videospielen in die Presche gesprungen sind.
Doch seit sich die Lage nach dem Amoklauf in Winnenden, einem immer stärker
eingeforderten Herstellungsverbot von Action-Computerspielen und einer
möglicherweise ausufernden Gesetzesnovelle zu Internetsperren markant zuspitzt,
haben auch die am meisten Betroffenen bemerkt, dass es an der Zeit ist, ihre
Bürgerrechte zu nutzen: die Spieler selbst.
Die Gruppe ist in ihrer Größe zunächst überschaubar, dafür auffallend heterogen.
Neben jungen, politischen Vertretern von den Grünen, der FDP und der
Piratenpartei reihen sich aufmüpfige eSportler neben Pärchen mit selbstgemachten
Ministeck-"1-Ups" und anderen Spielkultur-Afficionados. Was leider gänzlich
fehlt, sind zum Thema passende Transparente und Schilder. Außer Partei- und
Peace-Fahnen schwenkt und trägt man hier nichts außer Gamer-T-Shirts und "Grand
Theft Auto"-Buttons. Doch die sieht man leider kaum vom Gehsteig aus.
Die deutsche Bundesministerin für u.a. Familie und Jugend, Ursula "Zensursula"
von der Leyen, steht mit ihrer Politik im Kreuzfeuer der Kritik der
Demonstrierenden.
Und so klingt die Gamer-Demo:
Download (2,5 MB)
Wider die Bevormundung
Nach rund einer Stunde endet die Demo mit einer kleinen Kundgebung der
Initiatoren und der teilnehmenden Oppositions-Parteien. Die kurzen Reden sind
hinsichtlich Kritik und Forderungen sehr konzis und verantwortungsbewusst.
Es wird auf die wissenschaftlich nicht nachweisbaren kausalen Zusammenhänge
zwischen fiktionaler und real ausgeübter Gewalt sowie der fachlichen Inkompetenz
der SPD/CDU/CSU-PolitikerInnen beim Thema Netz- und Spielekultur hingewiesen und
deren populistische Meinungsmache verurteilt. Vor der starken Lobby der Waffen-
und Schützenvereinen hätte man bald wieder einen Rückzieher gemacht, nun würden
schwächere Sündenböcke gesucht.
Aktiv werden, damit die Situation nicht noch düsterer wird.
Und wo ist die Industrie?
Mag sein, dass der eine oder die andere Mitmarschierende auch in der
Spieleindustrie tätig ist. Offiziell ausgewiesen hat sich heute in Berlin davon
jedenfalls niemand. Kein Wunder, verhält sich die deutsche Games-Industrie in
der immer absurder werdenden Zensur- und Verbotsdebatte zunehmend passiv. Da es
sich vorwiegend um einen internationalen Markt handelt, lagert man die
Entwicklungen für für deutsche Verhältnisse heikle Produkte ins Ausland aus und
gestaltet andere Teilmärkte - etwa den aufstrebenden Browser-Game- und MMO-Markt
- zunehmend abseits der Politik. Dass die Regierungsparteien aus Angst vor
Wählerstimmen diesen potenten und vielseitigen Markt zunehmend vergrault, ist -
über die gesellschaftspolitischen Fragen hinweg - vor allem wirtschaftlich
unverständlich.
Bei der Schlussveranstaltung spielt die Piratenpartei eine Partie
"Killerschach". Spätestens seit Bobby Fischer sollte bekannt sein, dass das
gesellschaftlich angesehene Schach weder physisch noch psychisch ein Kinderspiel
ist.
Vereinte Kräfte
Die "Wir sind Gamer!"-Demos waren erfreuliche, erste Schritte zu einer
zusammenwachsenden Bewegung gegen politische Beliebigkeit in Sachen
Videospielkultur. Das ist wichtig, denn wirklich nachhaltigen Einfluss werden
nur Initiativen schaffen, die die Kräfte bündeln und Vertreter von überall -
Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, NGOs, Vereine, Bürger - an einen Strang
ziehen lassen. Hoffentlich kommt bis zur deutschen Bundestagswahl am 27.
September da noch einiges in Bewegung.
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