aleX am 20. März 2021 um 20:42 | Lesezeit: 9 Minuten, 45 Sekunden

Jeder redet über "Schwedischen Sonderweg", aber wie schaut es wirklich aus?

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Immer wieder wurde und wird vom "Schwedischen Sonderweg" gesprochen. Aber wie schaut es nun wirklich aus?

Schweden hat sich bekanntlich in der Corona Politik für einen anderen Weg entschieden. So gab es keine landesweiten Ausgangssperren und Kontaktverbote.

Was nicht stimmt, aber immer wieder behauptet wird, es gab keinen Lockdown. Ende März gab es einen Lockdown in Schweden.

Auch die Schulen blieben - bis zur neunten Klasse - offen.

Die Behörden haben statt offizieller Verbote entschieden, zunächst auf Empfehlungen und Appelle an die Vernunft der Menschen und auf deren Eigenverantwortung setzten.

Und schon von Anfang an sah man, dass Schweden dafür einen hohen Preis zahlt. Insgesamt sind innerhalb eines Jahres Pandemie rund 13.000 Menschen an und mit Corona gestorben.

Vor allem während der so genannten ersten Welle starben in Schweden anteilsmäßig deutlich mehr Menschen an und mit Corona, als in anderen Ländern. Bis Juni 2020 meldeten die Schwedischen Gesundheitsbehörden 4.800 Corona-Tote. Recht man dies auf ein großes Land, wie Deutschland um, starben in Schweden damit rund 4,5 Mal so viele Menschen an und mit Corona.

Wenn wir bei diesem Vergleich bleiben, dann haben sich inzwischen haben sich die Zahlen allerdings angenähert: Auf eine Millionen Einwohner kommen in Schweden 1.307 Corona-Tote, in Deutschland 896. Somit ist der Anteil der Verstorbenen in Schweden aktuell "nur" noch knapp anderthalbmal (1,46) größer als in Deutschland.

Aber leider liegt allerdings die Zahl der Corona-Toten in Schweden deutlich höher als in den skandinavischen Nachbarländern Norwegen, Finnland und Dänemark.

Im Februar und März ist die Zahl der täglichen Neuinfektionen wieder stark angestiegen. Es gibt also Hinweise darauf, dass es auch in Schweden zu einer dritten Welle kommt.

Welche Maßnahmen wurden dann getroffen?

Bereits zu Beginn der Pandemie gab es auch einige gesetzliche Regelungen.

  • So wurden die Grenzen zu EU-Nachbarn wurden zeitweise dicht gemacht. Teilweise wurden Corona-Tests Pflicht bei der Einreise.

  • Die Zahl der Menschen, die sich versammeln dürfen, wurde festgelegt und eingeschränkt. So dürfen sich Stand Ende März 2021 maximal acht Menschen miteinander treffen.

  • In der ersten Welle galt ein Besuchsverbot für Alten- und Pflegeheime.

  • Universitäten und Schulen ab Klasse 9 waren und sind geschlossen, dort finden Distanz- und Online-Lernen statt. Grundschulen und Kitas bleiben geöffnet

  • Ebenso bleiben Restaurant, Cafés und die meisten Geschäfte geöffnet. Restaurants, Bars und Cafés müssen derzeit um 20:30 Uhr schließen.

  • Teilweise sind Sport-Angebote erlaubt

  • Die meisten Kultur-Einrichtungen aber sind geschlossen oder haben eingeschränkte Öffnungszeiten.

  • Masken zu tragen wird inzwischen beispielsweise für den Öffentlichen Nahverkehr empfohlen.


Anfang 2021 hat das schwedische Parlament ein Gesetz beschlossen, dass weiterreichende Maßnahmen - etwa die Schließung von Geschäften und Einkaufszentren - zumindest möglich macht.

Somit setzt Schweden, wie bereits erwähnt, also - anders als die meisten europäischen Nachbarn - eher auf Freiwilligkeit.

Es gab und gibt es vor allem Empfehlungen, wie man sich verhalten sollte - keine Vorschriften, deren Missachtung Konsequenzen oder Strafen nach sich ziehen würden.

Es sollen auch so viele Menschen im Homeoffice arbeiten, wie Möglich. Wer Symptome hat, ist angehalten, sich selbstständig in Quarantäne begeben, sich isolieren und auszukurieren.

Der größte Mythos ist allerdings, dass in Schweden das normale Leben weitergehe, das betonte auch Außenministerin Ann Linde schon im Frühjahr 2020:

Es gibt keinen vollständigen Lockdown


.. aber viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens seien eingeschränkt oder eingestellt.

Die Arbeitslosigkeit wird voraussichtlich dramatisch steigen


.. so Linde.

So beschreibt im Frühjahr 2021 Göran Hansson, Generalsekretär der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften, die Situation so:

Gerade sind wir eigentlich ziemlich nah dran an einem Lockdown.


Auch Andreas Radbruch, Immunologe, Leiter des Deutschen Rheumaforschungszentrums und Mitglied der Akademie der Wissenschaften Leopoldina betonte im Frühjahr 2021:

Die Lässigkeit, die man den Schweden im Umgang mit der Pandemie nachsagt, ist gar nicht so groß.


Der Handel und Gastronomie laufen zwar weiter, denoch wirkt sich die Pandemie auf die Unternehmen aus. Klar, für endgültige Schlüsse ist es noch zu früh. Es zeichnet sich allerdings ab, dass die schwedische Wirtschaft ebenfalls leidet - auch ohne Lockdown.

Welche Strategie steckt nun dahinter?

Anders Tegnell, der als Chef-Epidemiologe bezeichnet wird, sticht besonderes hervor. Er berät die schwedische Regierung und ist weiterhin überzeugt, dass der Kurs seines Landes "effektiver" sei als "drastische" Maßnahmen wie etwa monatelange Schließungen.

Das große Ziel sei es, die Zahl der Neuansteckungen auszubremsen.

Das machen wir in allen Ländern Europas. Wir entscheiden uns nur für verschiedene Methoden.


Er möchte dass die Maßnahmen so angelegt seien, dass das Land auch sehr lange durchhalten könnte - notfalls über mehrere Jahre.

Es geht offiziell darum, so viele Infektionen zu vermeiden wie möglich. Natürlich gibt es aber auch Vermutungen darüber, dass in Schweden Herdenimmunität erreicht werden sollte - also bei möglichst vielen Menschen eine Immunreaktion auszulösen und damit im späteren Verlauf die Ausbreitung des Virus zu verhindern.

Diese Herdenimmunität würde eintreffen, wenn die Mehrheit der Bevölkerung aufgrund einer durchgemachten Infektion (oder einer Impfung) immun sein.

Dies ist unter Experten bereits umstritten, den das Coronavirus sei unberechenbar und bis zur herbeigeführten Herdenimmunität - indem man beispielsweise vor allem jüngere Menschen mit dem Virus anstecken lassen würde - gebe es viele Todesfälle.

Aber funktionieren die Appelle an die Vernunft?

Teilweise sah und sieht es auch so aus, als würden die Appelle wirken. Der Google Mobility Report zeigte zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020, dass die Mobilität der Menschen deutlich zurückgegangen ist.

Die Öffentlichen Verkehrsmittel wurden weniger genutzt, eingekauft wurden vor allem Lebensmittel.

Auch im Frühjahr 2021 sagte der "Staatsepidemiologe" in einem Interview, GPS-Daten zeigten, dass sich viele Menschen an den Aufruf, möglichst zuhause zu bleiben und auch im Homeoffice zu arbeiten, hielten.

Viele Beobachter berichten, dass vor allem ältere Menschen im öffentlichen Raum und beispielsweise in Bussen und Bahnen Masken tragen. Aber es gibt auch Berichte darüber, dass viele Menschen in Schweden die Empfehlungen nicht einhalten.

Was nun? Funktioniert die Strategie? Oder nicht?

Die schwedische Strategie hat zu einem rasanten Anstieg der Fallzahlen geführt. Und zu sehr vielen Toten. Im Frühjahr 2020 waren es vor allem Menschen in Alten- und Pflegeheimen sowie in der häuslichen Pflege, die gestorben sind.

Der eindeutig mangelhafte Schutz dieser Menschen ist mit dafür verantwortlich, dass so viele Menschen in Schweden an Covid-19 erkrankt und gestorben sind.

Am deutlichsten wird das aber bei der Betrachtung der Sterblichkeit seit Beginn der Corona-Pandemie. Das Infektionsgeschehen hat im Frühjahr 2020 und im Winter 2020/21 zu einer deutlichen Übersterblichkeit geführt.

90 Prozent der Menschen, die mit und an dem Virus gestorben sind, waren 70 Jahre alt und älter, zu diesem Ergebnis kommt der im Dezember 2020 vorgelegte Bericht der Corona-Kommission.

Der "Staatsepidemiologe" hat auch inzwischen zugegeben, dass der Schutz der älteren Menschen nicht funktioniert hat, in der ersten Welle. Auch der schwedische König Carl Gustav hat die schwedische Corona-Strategie als gescheitert bezeichnet.

Vor allem mit Blick auf unsere Nachbarländer haben wir eine deutlich höhere Todesrate


... sagt Göran Hansson, Generalsekretär der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften.

Und während der zweiten Welle zeigte sich, dass es noch keinen signifikanten Schutz durch eine natürlich erworbene Herdenimmunität gab.


Auch habe sich gezeigt, dass die Länder, die schnell reagiert haben - wie Norwegen und Finnland - bisher deutlich besser durch die Pandemie kommen.

Die Strategie, sie zu schützen, ist also klar gescheitert. Dafür gibt es auch mehrere Gründe:

  • So hat beispielsweise die Kommunikation nicht funktioniert. Es war nicht klar geregelt, wann ein Arzt oder eine Ärztin hinzugezogen werden musste oder wann Erkrankte in ein Krankenhaus verlegt werden sollten.

  • Es wurden teilweise Zeitarbeitskräfte in der Pflege eingesetzt worden, so dass Betroffene zu viele Kontakte mit zu vielen unterschiedlichen Menschen hatten. Auch waren nicht alle Betreuer medizinisch geschult und es fehlte an Schutzausrüstung.

  • Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Altenpflege waren schlecht bis gar nicht auf eine Krise wie die Corona-Pandemie vorbereitet.


Es gab auch viel Kritik

In einem offenen Brief, aus dem die Zeitung "Dagens Nyheter" im Frühjahr 2020 zitierte, kritisierten zahlreiche Wissenschaftler den Kurs der Regierung.

So fehle es zum Beispiel an einer wissenschaftliche Grundlage für die Strategie.

Es wurde ein Umdenken der Regierungslinie, etwa das Schließen von Restaurants und Schulen, gefordert. Dabei blickten sie vor allem auf die Nachbarstaaten Norwegen und Finnland, die deutlich geringere Zahlen hatten (und immer noch haben).

Aber wie auch die Wissenschaftler täglich Neues über das Coronavirus dazulernen, gibt es auch seitens der schwedischen Behörden Ansätze einer Lernkurve. So gab Anfang Juni 2020 auch der Epidemiologe Anders Tegnell zu, dass möglicherweise nicht alles gut gelaufen ist in Schweden.

Ich glaube, dass es sicherlich Verbesserungspotential bei dem gibt, was wir in Schweden gemacht haben. Und es wäre gut gewesen, wenn man exakter gewusst hätte, was man schließen soll, um die Infektionsausbreitung besser zu verhindern.


Unter den Wissenschaftlern gab und gibt es weiterhin viele Diskussionen.

Einer der Fehler aus meiner Sicht war, dass die Gesundheitsbehörde und die offiziellen Stellen nicht offen waren für Diskussionen aus den Kreisen der Wissenschaft


Es habe katastrophale Fehler gegeben, wird auch immer wieder betont. Ein sehr großes Problem sei gewesen, dass die Gesundheitsbehörde lange nicht anerkannt hätte, dass Masken einen schützenden Effekt haben und die Verbreitung des Virus eindämmen.

Die Daten

In Schweden ist das Vertrauen im die Politiker höher als kaum in einen anderen Land. Die Corona Daten werden zudem offen geteilt. Bei uns würden schon alle Datenschutzbehörden aufschreien, wenn wir unsere Daten so offten legen würden.


Fazit?

Ganz sicher fühlt sich das Leben in Schweden etwas normaler an als in vielen anderen Ländern. Wer den monatelangen Lockdown erlebt hat, mag sich mehr vermeintliche Freiheiten wie in Schweden wünschen. Wer sich aber dort vorsichtig verhält und umsichtig handelt, sich und andere versucht zu schützen - dessen Alltag unterscheidet sich vermutlich nicht stark vom Alltag bei Uns.

Inzwischen wird in Schweden deutlich mehr getestet. Es gibt mehr Schutzkleidung und es liegen weniger Menschen auf den Intensivstationen als während der ersten Welle.

Noch sind in Schweden nicht ausreichend Menschen geimpft und das Virus bleibt weiterhin eine Gefahr. Auch kann jetzt noch nicht absehen oder sagen, ob die psychischen und sozialen Folgen in Ländern mit strengeren Regeln gravierender ausfallen werden als in Schweden. Welche der Verfahren und Strategien auf lange Sicht erfolgreicher sind, werden Wissenschaftler mit hoher Wahrscheinlichkeit erst rückblickend vollständig beurteilen können.

Es ist aber ein gutes Beispiel und Mahnmal das Eigenverantwortung in einer Welt voller Egoisten nicht funktionieren kann und wird.



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