Österreichs Polizei wird abhörsicher
27. Mai 2009, 21:03 | 0 KommentareIn Niederösterreich steht das digitale Blaulichtfunknetz TETRA kurz vor der Flächendeckung. Auch in Tirol, Wien und dem Burgenland sowie den Städten Salzburg und Klagenfurt ist die Polizei bereits abhörsicher unterwegs. Ein Rückblick auf den analogen Polizeifunk samt Hörbeispielen aus vergangener Zeit.
"Obergrafendorf Berta und Neulengbach für Neulengbach Eins: Alarmauflösung Raika
Maria Anzbach. Fehlalarm ausgelöst durch die Putzfrau." - "Berta verstanden." -
"Neulengbach verstanden." So klang es noch vor wenigen Monaten (6. Jänner 2009
9.50 Uhr) auf einem der verbliebenen analogen Polizeifunkkanäle (172,050 MHz).
Und diese Töne waren nicht nur auf Funkgeräten der Polizei empfangbar. Wer immer
im Umkreis von 30 und mehr Kilometern - je nach Antenne und Position - einen
Funkscanner auf die besagte Frequenz eingestellt hatte, konnte ab 23.00 Uhr
desselben Tages deutlich weniger Harmloses mitverfolgen als einen Fehlalarm
durch eine Putzfrau.
"Bewaffnet, Drogeneinfluss"
Die Funkstreifen waren im Raum Neulengbach bis in die Nacht hinter einem
Flüchtigen her, der ein Ehepaar mit einem Baseballschläger angegriffen hatte.
"Bewaffnet und vermutlich unter Drogeneinfluss", hieß es im Funk.
Wer immer die Konversation auf 172,050 MHz mitverfolgte - einer der letzten
analogen Polizeifrequenzen in Niederösterreich, die im Jänner noch aktiv waren
-, war über die genauen Positionen der Funkstreifen laufend informiert.
Dass bei Polizeieinsätzen der letzen drei Jahrzehnte bei Gelegenheit auch die
"andere Seite" mithörte, ist hoch wahrscheinlich.
Hellhörig dank Funkscanner
Ein Funkscanner, eine Art All-Band-Radio, das weitaus mehr als nur analogen
Polizeifunk empfangen kann, ist schon ab 150 Euro erhältlich. Da die Geräte das
Frequenzspektrum blitzschnell durchsuchen können - daher der Name "Scanner" -,
sind alle empfangbaren Frequenzen schnell gesammelt und gespeichert.
Die geografische Zuordnung war noch einfacher: Sowohl die "Bertas" (Zentralen)
wie auch die Funkstreifen meldeten sich mit dem Ortsnamen.
Dieser kleine Funkscanner des bekannten Herstellers Icom (Typ: R 5) ist
gleichzeitig ein brauchbarer Kurzwellenempfänger und ein ausgezeichnetes
UKW-Radio (wenn auch nur in Mono). Weitere Features: Bei 58 x 86 x 27 Millimeter
Größe ein Frequenzbereich durchgehend von 150 kHz bis 1,3 GHz.
Dazu: 1.300 Speicherkanäle, die gruppierbar sind, sechs verschiedenen Scan-Arten
sind wählbar. Über Kopfhörerausgang und Klinkenstecker (sic!) verbindet man den
R 5 mit dem USB-Eingang eines PCs, denn Software erleichtert das Programmieren
der vielen Kanäle.
Kriminelle Zielgruppen
Sowohl heimischen Berufseinbrechern wie auch den professionellen
"Kriminaltouristen", die vor allem in den Wintermonaten mit schnöder
Regelmäßigkeit über Niederösterreichs Nordgrenzen einfallen, ist also durchaus
zuzutrauen, dass sie so billige und leicht erhältliche Technik auch einsetzten,
die im entscheidenden Moment den Vorsprung zur Flucht ermöglichte - wie in den
Hörbeispielen unten.
Das Ende in Niederösterreich
Ob und in wie vielen Fällen Polizeieinsätze durch mitlauschende Straftäter
vereitelt wurden, weiß man natürlich auch im österreichischen Innenministerium
nicht, da Funkscanner wie gewöhnliche Radios nur empfangen und somit nicht
geortet werden können.
Sicher ist nur, dass mit der Überwachung der Polizei durch Unautorisierte jetzt
Schluss ist. Seit Mitte Februar wurde in Niederösterreich dieser im Grunde
längst untragbare Zustand beendet. In 14 von 21 Bezirken sei das auf dem
digitalen Standard TETRA basierende neue "Blaulichtnetz" mit insgesamt 388
Basisstationen bereits flächendeckend ausgebaut, sagte Alexander Marakovits aus
dem Innenministerium auf Anfrage.
Überall dort sei man längst in den operativen Betrieb übergegangen. In sieben
niederösterreichischen Bezirken existierten hingegen noch vereinzelt Funklöcher,
die nun systematisch geschlossen würden. Die Fertigstellung sei für das dritte
Quartal 2009 geplant, so Marakovits: "7.600 Empfangsgeräte sind allein in
Niederösterreich bereits im Einsatz, und praktisch täglich gibt es einen
Zuwachs."
Verspäteter Start
Der Start des TETRA-Systems hatte sich um mehrere Jahre verspätet, weil es
organisatorische Schwierigkeiten, vor allem aber solche mit der Finanzierung
gab. Dem von Siemens angeführten ADONIS-Konsortium wurde der rund um die
Jahrtausendwende erteilte Auftrag in der Folge wieder entzogen und neu
ausgeschrieben.
Der Zuschlag ging schließlich 2004 an das TETRON-Konsortium von Alcatel und
Motorola und war ursprünglich mit 133 Millionen Euro budgetiert. Im Jänner 2006
startete TETRA in Tirol, dann kamen Wien und das Burgenland an die Reihe, wo
TETRA längst flächendeckend im Einsatz ist. Rund um die Fußball-EM 2008 gab es
einen neuerlichen starken Schub, die Städte Salzburg und Klagenfurt wurden dabei
umgestellt.
Was TETRA kann
Die Abhörsicherheit ist nicht das einzige neue Leistungsmerkmal des
TETRA-Funksystems. So lassen sich die Endgeräte verschiedener Einheiten wie
Funkstreifen, Hundestaffeln ("Tasso") und Hubschrauber ("Libelle") ad hoc zu
Einsatzgruppen zusammenschalten.
Das funktioniert auch über Bundesländergrenzen hinweg, zudem werden immer mehr
andere Blaulichtdienste eingebunden: Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte, die
zu einem Einsatz gerufen werden, können über TETRA sofort untereinander
kommunizieren.
Ebenso können beliebig viele der mittlerweile 27.000 im operativen Einsatz
befindlichen TETRA-Funkgeräte quer durch das Land zusammengeschaltet werden,
wenn etwa an mehreren Stellen gleichzeitig ein Schlag gegen organisierte
Kriminelle geführt wird.
GSM-Gateways
Da TETRA technisch gesehen ein Ableger der Familie von GSM-Funkstandards ist, sind die Funkanlagen interoperabel mit Mobilfunknetzen. Von denselben Polizeifunkgeräten lassen sich also auch Gespräche in GSM- und Festnetz schalten, ebenso können SMS netzübergreifend gesendet und empfangen werden.
Marakovits hatte dafür ein Beispiel aus der Praxis: Eine in "unwegsamem Gelände" vermisste Person hatte zwar ein Handy dabei, befand sich jedoch außerhalb des GSM-Empfangsbereichs. Als schnellster Weg, diese Person zu zu lokalisieren, erwies sich die Entsendung eines Polizeihubschraubers, der über dem fraglichen Gelände kreiste.
Aufgrund ihrer erhöhten Position hatte die "Libelle" dabei Verbindung zum GSM-Netz, über das TETRA-Funkgerät wurde dann ein Gateway - eine Art Funkbrücke - geschaltet. Die vermisste Person hatte so plötzlich Empfang und konnte ihre Position selbst durchgeben, bevor der Akku des Handys in die Knie ging.
Funkbrücke statt IMSI-Catcher
Dieses Szenario klingt schon realistischer als einige Argumente zur Anschaffung von "IMSI-Catchern" rund um die Novelle zum Sicherheitspolizeigesetz Ende 2007. Dieses Gerät ähnelt einer Mobilfunkbasistation im Kleinformat. Der IMSI-Catcher stellt die einzige Möglichkeit dar, ein Handygespräch abzuhören, ohne den Netzbetreiber einschalten zu müssen.
Mit dem Argument, man müsse verunfallte Wanderer in unwegsamen Gegenden mit schwacher Funkmastendichte mittels Hubschrauber und IMSI-Catcher lokalisieren können, genehmigte das Parlament Ende 2007 600.000 Euro für den Kauf von IMSI-Catchern.
Abgesehen davon, dass diese Geräte höchstens ein Zehntel dieser Summe kosten, sind sie für einen Einsatz im Hubschrauber absolut ungeeignet. Ein in mehreren Hundert Metern Höhe aktivierter Catcher würde sofort einen hohen Prozentsatz aller neuen Gespräche von sämtlichen in weitem Kreis umliegenden GSM-Basisstationen auf sich ziehen.
Zurück nach Neulengbach
Die Fahndung nach dem flüchtigen Gewalttäter Anfang Jänner zeitigte schon eine Stunde nach ihrem Beginn ein erstes Zwischenergebnis. Ziemlich genau um Mitternacht hatten sich die Beamten bis zu einer Bezugsperson des Flüchtigen durchgefragt und diese dann kurzerhand "kassiert".
Am nächsten Morgen rückte man wieder aus und durchsuchte vom Bahnhof bis zum Gasthaus "Schmankerl" systematisch alle möglichen Aufenthaltsorte des Flüchtigen in der gesamten Umgebung, wurde jedoch nicht gleich fündig. Als dann noch eine aktuelle Fahndung nach einem Diebespaar dazukam, das einen seidenen Morgenmantel hatte mitgehen lassen, musste man Verstärkung aus Eichgraben und anderen benachbarten Posten anfordern.
Nach gut 20 Stunden Fahndung war dann plötzlich eine kurze Sequenz auf 172,050 MHz zu hören: "Umstellt das Haus!", 30 Sekunden später: "Positiv!"
Die Funkdisziplin
Beim Abhören mehrerer Polizeifunkmitschnitte, die ORF.at zugespielt wurden, bot sich überall dasselbe akustische Bild. Die Beamten waren sich offenbar nachhaltig bewusst, dass Dritte mithören könnten. Man vermied jede überflüssige Kommunikation, bemühte sich stets um Hochdeutsch und fiel auch in Stressmomenten ausgesprochen selten aus der Rolle.
Wenn die Beamte heikle Informationen durchgeben mussten, hieß es typischerweise: "Kommen Sie bitte ab jetzt über Handy." Und wenn es wirklich spannend wurde, weil ein Zugriff unmittelbar bevorstand, schwieg der Funk. Etwaige Erfolgsmeldungen waren zumeist nur dreisilbig: "Positiv."
Momente der Komik
Dieser Ernsthaftigkeit zum Trotz gab es zwischendurch auch komische Momente. Etwa, wenn bei einer Polizeikontrolle in St. Pölten (2007) Anfragen beim Strafregister gestellt und über Funk mehr als ein Dutzend ellenlanger westafrikanischer Personennamen durch buchstabiert werden mussten.
Es handelte sich um eine Personenüberprüfung an einem Treffpunkt afrikanischer Asylbewerber, die dem Anhören nach sehr korrekt und im Übrigen ergebnislos verlaufen war.
Hörbeispiel
Der in zwei Dateien geteilte Zusammenschnitt von einem mehrere Stunden dauernden Großeinsatz (Jänner 2007) in der niederösterreichischen Gemeinde Sierndorf gegen mutmaßliche Einbrecher wurde ORF.at mit mehreren anderen Mitschnitten zugespielt.
Der gesamte Ablauf der Aktion legt nahe, dass die Verdächtigen immer wussten, wo die Einsatzkräfte gerade positioniert waren. Obwohl sie bereits von einem guten Dutzend Funkstreifen inklusive zweier Hundestaffeln engräumig eingekreist waren und sogar ein Hubschrauber mit Wärmebildkamera an Ort und Stelle war, gelang den Verdächtigen die Flucht.
Da der Mitschnitt offensichtlich über den Kopfhörerausgang eines Funkscanners vorgenommen wurde, ist er zwar verständlich, die Tonqualität allerdings ist eher schauderhaft. Editiert wurden die Mitschnitte nur insofern, als einige Dialoge, die Handynummern, Namen bzw. KFZ-Kennzeichen enthielten, gelöscht wurden.
Das war das eigentliche Problem des analogen Polizeifunks. Bei einem Einsatz, in dem in Echtzeit alle Einsatzkräfte wissen mussten, wer etwa bedroht wird und wo ,mussten diese Daten "free on air" nahe an Echtzeit hinaus buchstabiert werden.
Anmerkung
Die Datei "Belagerung von Sierndorf" wurde aus praktischen Gründen in zwei Segmente zerlegt.
~ Der Ort des Geschehens Sierndorf im Weinviertel
Download (3,85 MB)
Download (4,11 MB)
Zusätzlicher Datenkanal
Mit TETRA hat sich auch die Buchstabiererei erledigt, die einen nicht zu
unterschätzenden Teil des Funkverkehrs ausmachte.
Wie bei GSM ist zwar nur ein schmalbandiger Datenkanal vorgesehen, doch der
reicht für die "Erhebung eines Fahrzeughalters" oder Personenüberprüfungen
allemal aus.
Epilog
Mit der Einführung von TETRA ist auch mit den Einblicken in den Arbeitsalltag
einer Berufsgruppe vorderhand Schluss, die sich neben der Bekämpfung von
Verbrechen mit Legionen zankender Nachbarn, Querulanten und jugendlicher
Ausreißer herumschlagen und ebenso erstaunlich viele Familienkonflikte
schlichten muss.
Die individuellen Resümees einer Handvoll von befragter Funkenthusiasten,
die in der Vergangenheit "gelegentlich auch einmal über das 170-MHz-Band
gescannt hatten", stimmten in einem Punkt auffällig überein: Vom eher anarchisch
orientierten Wellenjäger ("Dxer") - dem analogen Funkpendant zum digitalen
Hacker - bis zum eher biederen Fernmeldeingenieur gebrauchten alle den Begriff
"Respekt".
via
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